Die wechselvolle Geschichte
Die Geschichte unserer Großloge ist wechselvoll, wurde doch in Österreich die Freimaurerei seit ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert gleich zweimal verboten: zuerst mehr als ein Jahrhundert lang von der habsburgischen Reaktion und dann noch einmal sieben kurze aber vieles zerstörende Jahre unter den Nationalsozialisten.
Bei den Habsburgern war das Hauptmotiv wohl deren enge Verbindung mit dem früher auch politisch sehr mächtigen Katholizismus, der bis ins 20. Jahrhundert hinein gegen die Logen war: zum einen weil er sie nicht kontrollieren konnte, und zum anderen – das wurde im 19. Jahrhundert wichtiger – weil die romanische Freimaurerei mehr und mehr zum Atheismus tendierte und die italienische außerdem gemeinsam mit anderen Gruppierungen für die staatliche Einigung Italiens und damit gegen den Kirchenstaat kämpfte.
Obwohl die österreichische Freimaurerei anders tickte, wurde sie im 19. Jahrhundert im katholischen und jetzt sehr rückwärtsgewandten Habsburger-Reich sozusagen kollateral geschädigt: Sie wurde bis zum Ende der Monarchie 1918 verboten.
Der Grund für die Freimaurer-Feindschaft der Nationalsozialisten ist einfacher zu verstehen: Totalitäre Systeme gleich welcher Art wollen alles unter Kontrolle behalten. Autonome gesellschaftliche Lebensbereiche neben sich können sie daher nicht akzeptieren, schon gar nicht, wenn sich diese wie die Freimaurer für humane Grundwerte einsetzen.
Doch seit 1945 ist auch das vorbei, und es geht kontinuierlich aufwärts.
Es folgt nun eine chronologische Schilderung der Ereignisse, dargestellt in drei Anläufen, die notwendig waren, bis die österreichische Freimaurerei ihre heutige Blüte erreichte.
Erster Anlauf: 1742 wurde erstmals eine Loge gegründet
Die Grundlagen für die erste Großloge der Welt wurde 1717 in London gelegt. Wichtige Staaten auf dem Kontinent wie Frankreich und Preußen folgten schon wenige Jahre danach.
Im Reich der Habsburger dauerte es bis 1742. Zwei Jahre zuvor hatte Erzherzogin Maria Theresia, von den Österreichern bis heute Kaiserin genannt, das Szepter über den großen Staat übernommen. Und obwohl ihr Gemahl Franz Stephan von Lothringen, der 1745 als Franz I. römisch-deutscher Kaiser wurde, 1731 noch als unverheirateter Prinz in Holland von den Freimaurern aufgenommen worden war, blieb die Herrscherin skeptisch: Forscher nehmen an, nicht nur wegen ihres katholischen Glaubens, sondern vor allem auch weil ihr Gegner, der Preußenkönig Friedrich der Große, der ihr Schlesien abgenommen hatte, ein sehr engagierter Freimaurer war. Und so ließ sie die 1742 in Wien gegründete Loge „Aux Trois Canons“ ein paar Monate danach wieder auflösen und verbieten.
Die österreichischen Freimaurer hatten es anfangs also nicht leicht. Logengründungen blieben noch eine Zeit lang schwierig, doch ab der Mitte des Jahrhunderts wurde es besser. Denn auch mehrere wichtige Berater der Regentin waren Freimaurer. Kein Wunder: die Freimaurer gehörten zu den Trägern des Modernisierungsgedankens, und die Kaiserin war ja durchaus reformorientiert. Das setzte sich unter der Regentschaft von Maria Theresias Sohn Joseph II. fort, und so konnte 1784 in Wien mit einiger Verspätung die erste österreichische Großloge gegründet werden.
Die gute Zeit dauerte nur ein paar Jahre: Josephs Nachnachfolger und Neffe Franz II./I. fürchtete während der Französischen Revolution um seinen Thron und verbot ab Anfang der 1790er Jahre alles, was neuen Gedanken zugetan war, also auch die Freimaurer. Gesamtpolitisch gesehen sollte diese Stagnation letztlich über ein Jahrhundert dauern. Immer mehr rutschte das Habsburgerreich in eine Entwicklungsdefensive. Und so wurden alle diese Verbote so lang wie nur irgendwie möglich aufrechterhalten – auch das Freimaurerverbot: in der österreichischen Hälfte des 1867 in eine österreichisch-ungarische Doppelmonarchie geteilten Imperiums galt es bis zum Ersten Weltkrieg und dem Ende der Habsburgerherrschaft.
Eine österreichische Spezialität: Die Grenzlogen 1871 bis 1918
Aufgrund der unterschiedlichen Vereinsgesetze konnten nach 1867 im ungarischen Teil des Habsburgerreiches Freimaurerlogen tätig sein. Die im österreichischen Teil lebenden Freimaurer waren anfangs dort Mitglieder, fanden jedoch ab 1871 eine Lösung, in eigenen Logen rituell arbeiten zu können: in den sogenannten „Grenzlogen“. In Wien versammelten sie sich in unpolitischen Vereinen, nahe der Grenze im ungarischen Reichsteil gründeten sie rituell arbeitende Logen. Die erste war die noch heute tätige „Humanitas“, ab 1874 folgten weitere – bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es insgesamt 14 Grenzlogen mit 1.048 Mitgliedern, die hauptsächlich in Preßburg (heute: Bratislava) arbeiteten.
Österreichs Freimaurer versuchten in dieser Zeit mehrfach, eine Anerkennung im österreichischen Reichsteil zu erreichen, scheiterten aber immer wieder. Sie leisteten jedoch in der Grenzlogenzeit trotz der widrigen Umstände Vieles in sozialer Hinsicht und auf dem Gebiet der Bildung. Vom heutigen Sozialstaat war ja damals keine Rede – und einer schmalen Schicht von Reichen und Neureichen stand ein großes Heer Armer und Bedürftiger gegenüber. Die Freimaurer gründeten mit ihren Wiener Vereinen deshalb eine Reihe von richtungweisenden medizinischen und karitativen Einrichtungen. Besonders hervorzuheben: Das „Erste österreichische Kinder-Asyl“, das von 1875 bis 1931 bestand und in dem Waisenkinder Schulbildung und der Eintritt ins Berufsleben ermöglicht wurde.
Zweiter Anlauf: 1918 in der jungen Republik Österreich.
Den österreichischen Exilfreimaurern war es nach dem Zusammenbruch des Habsburgerimperiums möglich, ihre Logen sofort in die neu gegründete demokratische Republik, die sich ein zeitgemäßes Vereinsgesetz gegeben hatte, zu verlegen und eine Großloge, die „Großloge von Wien“, einzurichten. Diese prosperierte von Anfang an. In wenigen Jahren gehörten zu ihr 24 Logen mit fast zweitausend Mitgliedern.
Erstaunlicherweise und für diktatorische Systeme ungewöhnlich sprach das 1934 an die Macht gekommene austrofaschistische Regime kein neuerliches Verbot aus. Allerdings mussten Beamte und andere Brüder, die in staatsnahen Bereichen arbeiteten, ihre Mitgliedschaft offenlegen, weshalb viele austraten.
1938 befahl Hitler den Einmarsch seines Militärs nach Österreich und dann den Anschluss des Landes an Nazi-Deutschland. Für die Freimaurer bedeutete das: alles war wieder zu Ende. Ihre Vorstellungen von Freiheit, Humanität und Toleranz passten absolut nicht zur totalitären und rassistischen Ideologie der Nationalsozialisten.
Gleichzeitig mit dem militärischen Einmarsch flogen aus Berlin spezielle SS-Kommandos ein mit dem Auftrag, politische Gegner zu deportieren und alle den Nationalsozialisten missliebigen Vereine aufzulösen. Dazu gehörten auch die Freimaurer. Ihre führenden Personen wurden verhört, einige verhaftet, der schwerkranke Großmeister Richard Schlesinger – er hatte die Großloge seit 1919 geführt – kam in der Haft um. Von den mehr als 800 Freimaurern, die es in Österreich nach den durch das austrofaschistische Regime veranlassten Austritten noch gab, mussten nun viele ins Ausland flüchten, vor allem wenn sie jüdisch waren. Mehr als hundert wurden bis 1945 in Konzentrationslagern ermordet.
Dritter Anlauf: 1945 am Beginn der Zweiten Republik.
Wenige Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs sammelten sich im halbzerstörten Wien und unabhängig davon auch in Kärnten die wenigen überlebenden Freimaurer zum dritten Anlauf. Erste Logen wurden gegründet, und bald konnte die 1938 von den Nationalsozialisten ausgeschaltete Großloge wieder etabliert werden. Dies alles unter den besonders schweren Bedingungen der ersten Nachkriegsjahre.
Österreich war damals in vier Besatzungszonen aufgeteilt, es gab zu wenig zu Essen, und es herrschte sehr große Wohnungsnot. Damit die freimaurerischen Arbeiten, wie die rituellen Zusammenkünfte der Logen genannt werden, überhaupt stattfinden konnten, musste zum Beispiel in den ersten Nachkriegsjahren jeder Bruder Heizmaterial, Fett- und Brotmarken mitbringen, und manche Treffen konnten mangels Heizmaterial gar nicht stattfinden. Amerikanische Logen schickten ihren österreichischen Brüdern Pakete mit Kleidung und Schuhen.
Doch wie das Land selbst, erholte sich nun ganz langsam auch die österreichische Freimaurerei. Fast jedes Jahr konnte wieder eine neue Loge gegründet werden: anfangs besonders in Wien, nach und nach auch in allen anderen acht Bundesländern. Ein gutes Jahr reihte sich bald an das andere. 1952 wurde die „Großloge von Österreich“ schließlich von der „United Grand Lodge of England“ wieder als regulär anerkannt.
Zum Jahreswechsel 1985/86 konnte die Großloge gemeinsam mit den Wiener Logen in ihr neu erworbenes Gebäude in der Wiener Rauhensteingasse übersiedeln. 2017 beging sie gleichzeitig mit der „United Grand Lodge of England“ sowie allen anderen regulären Großlogen der Welt das Jubiläum „300 Jahre moderne Freimaurerei“. Und 2018, schon ein Jahr danach, konnte die „Großloge von Österreich“ ihren eigenen 100. Geburtstag feiern: beide Male im Festsaal der Wiener Hofburg mit großen rituellen Veranstaltungen, an denen jeweils weit mehr als 1.000 Brüder aus ganz Österreich teilnahmen.